Weser abwärts
Ein Stück Deutschland, das wir bislang übersehen hatten
Das Ganze begann mit der Einladung zu einer Geburtstagsfeier. Die Gastgeber hatten als leidenschaftliche Segler eine passende Location ausgesucht: den Yachthafen von Wedel an der Elbe. Das brachte uns auf die Idee, für die Anreise den Wasserweg Weser abwärts bis Bremen zu nehmen und dabei einen für uns neuen Teil von Deutschland kennenzulernen. Eine Reise ins Unbekannte also.

Hessen nördlichster Punkt – und zugleich Endstation für´s Seniorenticket – ist das Barockstädtchen Bad Karlshafen an der Weser. Mitte des 19. Jahrhunderts konnte man hier ein Weserschiff besteigen und gemächlich flussabwärts bis Bremen reisen, doch die wachsende Konkurrenz der Eisenbahn ließ die Fahrpläne immer weiter zusammenschrumpfen. Inzwischen werden Schiffspassagen auf der Weser nur noch im Sommer und auch nur auf drei Teilstücken angeboten: Dienstags von Beverungen bis Höxter, Mittwochs von Bodenwerder bis Hameln und Donnerstags von Verden/Aller bis Bremen (Stand Sommer 2015).

Die Abschnitte zwischen den Anlegestellen sind mit Bus und Bahn gut zu bewältigen. Mit dem Deutschlandticket völlig problemlos. Als glückliche Besitzer von Seniorentickets fanden wir es jedoch abwegig, für die relativ kurzen Strecken in Westfalen und Niedersachsen zusätzlich noch Deutschlandtickets zu kaufen und suchten nach Alternativen. Die gute Nachricht vorweg: es geht ohne Deutschlandticket und man spart dabei. Allerdings wird dem Reisenden von der beteiligten Verkehrsverbünden bzw. von deren Software-Entwicklern Einiges abverlangt (was in einem separaten Post geschildert wird > KLICK).
Tag 1: Bad Nauheim – Bad Karlshafen
Die Fahrt zum nördlichsten Punkt von Hessen führt zunächst mit der Bahn über Kassel nach Hofgeismar und von dort mit dem Bus weiter in das Barockstädtchen an der Weser. Alle Züge hatten zum Teil heftige Verspätungen, was wir allerdings eingeplant hatten und somit entspannt aussitzen konnten (mit der Einschränkung, dass am Bahnhof Kassel Wilhelmshöhe die Rohre an den Bahnsteigsäulen als Sitzplätze recht ungeeignet sind. Was sich die Schöpfer dieses Bahnhofs bei der Installation dieser Objekte wohl gedacht haben? )


Die Busfahrt ab Hofgeismar führt durch viel Wald und weite Felder zu verträumten Ortschaften, die ihre besten Jahre wohl schon hinter sich haben. Wir kommen früh genug an, um uns in Bad Karlshafen in Ruhe umzuschauen. Vor gut 25 Jahren war ich hier zum letzten Mal. Seither hat sich viel geändert – zum Guten wie zum Schlechten. Mit reichlich EU-Geldern wurde das historische Hafenbecken wieder in Stand gesetzt und könnte jetzt von Privatskippern als Marina genutzt werden. Informationstafeln erklären die geschichtlichen Hintergründe und architektonische Details. Ein Highlight ist das sehr sehenswerte Hugenottenmuseum.

Unübersehbar ist allerdings, dass der Ort unter Veränderungen im Tourismus zu leiden hat. Schon vor Jahren hat ein Hotelsterben eingesetzt. Das Hotel am Kurpark präsentiert sich nach jahrelanger Nutzung als Flüchtlingsunterkunft nun als “lost place“. Viele Geschäfte stehen leer oder bieten nur noch billigen Ramsch an.

Wir wurden in einem bei Wohnmobilisten und Radwanderern zu Recht sehr beliebten portugiesischen Restaurant gut bewirtet und haben im Hessischen Hof gut geschlafen.
Tag 2: Bad Karlshafen – Höxter
Noch vor wenigen Jahren fuhren die Schiffe der Weserflotte ab Bad Karlshafen Weser abwärts. Doch mittlerweile endet der Schiffsverkehr 10 km flussabwärts in Beverungen, wohin wochentags stündlich ein Bus verkehrt (BUS R22 ab Bad Karlshafen Hafenplatz – an Beverungen ZOB, von dort 300 m zum Anleger). Für alle, die mit dem Deutschlandticket unterwegs sind ist das kein Problem. Wer aber – wie wir – ein Einzelticket kaufen möchte, merkt schnell, dass das nicht so einfach ist im Dreiländereck zwischen Hessen, Niedersachen und NRW … (mehr dazu HIER).

Dann endlich die erste Schiffspassage unserer Reise: auf dem Weserschiff „Höxter“ sind wir mit der Crew fast allein an Bord. Wir haben den Eindruck, dass den Ausflugsdampfern zumindest auf diesem Teil der Weser die Klientel nach und nach wegstirbt. Gemütlich gleitet das Schiff durch eine über weite Strecken naturbelassene Landschaft. Wenige Ortschaften sind zu sehen, dafür üppiges Grün an den Ufern und Steilhängen. Immer wieder flattern Reiher kreischend vor dem näherkommenden Schiff davon.
In Höxter nimmt das Schiff eine Seniorengruppe an Bord, die uns am Kloster Corvey wieder verlässt. Vom Weltkulturerbe ist vom Wasser aus wenig zu sehen – eine Besichtigung wäre sicher interessant, passt aber nicht in den Zeitplan.
In Höxter erwartet uns eine Ferienwohnung, die zur Gaststätte Paulaner zum Landsknecht gehört. Gut ausgestattet und geräumig, absolut empfehlenswert. Die Weißwürste im Paulaner sind Spitze!

Mein letzter Besuch in Höxter liegt lang zurück: 1964 war das und mir war Höxter als enges mittelalterliches Städtchen mit sehr viel Fachwerk in Erinnerung. Fachwerk findet sich nach wie vor reichlich und zum Teil aufwändig restauriert – manches für unseren Geschmack etwas zu bunt. Doch die prachtvollen Bauten im Stil der Weserrenaissance wirken wie Fremdkörper in einer ansonsten in den 70er Jahren recht brutal „entkernten“ mittelalterlichen Kleinstadt. Ganze Straßenzüge wurden abgerissen, um Platz zu schaffen für Einkaufsbunker im Brutalismus-Stil. Überdimensioniert, mit hässlichem Sichtbeton und deplazierten Glasfassaden. Welche Denkmalpfleger haben das nur abgenickt?

Tag 3: Höxter – Hameln
Die nächste Anlegestelle der Weserschiffe liegt im niedersächsischen Bodenwerder. Also mit der Bahn bis Holzminden (RB84) und von dort weiter mit dem Bus ( 520 ).

In Holzminden gibt es seit Kurzem ein ungewöhnliches Museum, das Sensoria. Hier dreht sich alles um Düfte und Aromen. Industriell erzeugte Aromastoffe haben in Holzminden eine lange Tradition. Seit 1874 wird hier Vanillin hergestellt. Heute beliefert der Holzmindener Konzern Symrise Kundschaft in aller Welt mit unzähligen Produkten für die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie.

Die Bushaltestelle Richtung Bodenwerder liegt direkt vor dem Museum. Eine Dreiviertel Stunde später ist der Schiffsanleger erreicht.
Die Weser zeigt im folgenden Abschnitt ein anderes Bild als weiter flussaufwärts. Mehr Ortschaften, einige Schlösser und Gutshöfe im Weser-Renaissance-Stil. Alles wirkt weniger verträumt und dafür deutlich dynamischer. Am Ufer sind viele Radwanderer unterwegs. Immer wieder tauchen Campingplätze auf, mit langen Reihen von Wohnmobilen. Die Reiher sind weniger schreckhaft als ihre Artgenossen weiter flussaufwärts. Sie haben sich offenbar an den Verkehr auf dem Fluss gewöhnt und schauen nicht einmal hoch, wenn das Schiff vorüber zieht.

Das 2021 stillgelegte Atomkraftwerk Grohnde zieht die Blicke auf sich. Auf dem Deich davor grasen Schafe, dahinter drehen sich Windräder.

Wir erreichen Hameln mit über einer Stunde Verspätung, was den Bootsmann Enno zu der Frage veranlasst, ob wir nun Probleme mit unserem Zuganschluss hätten. Er könne sonst für uns einen Transport zum Bahnhof organisieren (Danke, so nett!). Doch wir haben gut zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt und schauen uns etwas in der Stadt um. Wie in Höxter gibt es viel gut restauriertes Fachwerk und dazwischen etliche Neubauten. Doch die fügen sich ins Stadtbild ein. Hameln hat das irgendwie besser hinbekommen.

Das Niedersachsenticket bringt uns via Hannover nach Verden/Aller, wo wir spät nachts pünktlich ankommen. Im Hotel Höltje finden wir im Schlüsseltresor den versprochenen Zugang zu unserem Hotelzimmer und schlafen nach einem langen Tag voller Eindrücke wie die Kieselsteine.
Tag 4: Verden/Aller – Bremen
Auf dem Weg zum Schiffsanleger ist noch Zeit für ein kleines Frühstück im Café Diers, dann geht es schnellen Schrittes zum Schiff. Wir sind spät dran – den unscheinbaren Durchgang zum Allerpark hätten wir ohne die Hilfe eines Einheimischen wohl nicht gefunden. Wenige Minuten nach unserem Eintreffen legt das Schiff pünktlich um 10 Uhr ab. Das Oberdeck ist voll besetzt mit gut gelaunten SeniorInnen, denn die heutige Fahrt nach Bremen bietet ein Grillbuffet, dessen Vorbereitungen am Schiffsheck schon in die Nase steigen. Das weckt den Appetit und macht Durst und so stehen schon kurz nach 10 Uhr die ersten Biergläser auf den Tischen.
Nach einer halben Stunde Fahrt auf der Aller ist die Einmündung in die Weser erreicht. Rechts und links plattes Land. Schwarz-weiße Kühe auf den Wiesen. Viele Vögel: Enten, Reiher, Möven, Kormorane, Störche.
Wir passieren den größten Campingplatz an der Weser. Einige Kilometer lang reiht sich am Flussufer Wohnwagen an Wohnwagen. Dazwischen Wohnmobile und einige Zelte. Die meisten hier sind wohl Dauercamper, viele haben eigene Vorgärten und Holz-Terrassen. Und manche sogar einen Bootsanleger.
Auf der Strecke folgen weitere Campingplätze, bis am Ufer plötzlich Gewerbegebiete das Bild bestimmen. Schrottaufbereitungsanlagen, Chemiebetriebe, ein Kraftwerk. Bremen ist erreicht.

Wir verlassen das Schiff am Martinianleger und spazieren mit unserem leichten Gepäck die Uferpromenade entlang zu unserem Hotel Nena. Wenige Schritte neben dem Hotel liegt die Gastro-Meile von Bremen, die Schlachte. Mit Restaurants und Biergärten für jeden Geschmack.

Ein Spaziergang durch die Böttcherstraße führt uns zum Marktplatz, mit Roland und Rathaus. Der Plan, im Ratskeller typisch hanseatisch zu speisen, scheitert an einem Abi-Ball, der an diesem Abend die Location exklusiv in Beschlag nimmt. Dafür landen wir in der Markthalle Acht, wo wir Spezialitäten aus der Ukraine, Ghana und Korea probieren können. Dazu spanischer Wein – mehr Multikulti auf dem Tisch geht kaum.
Tag 5: Bremerhaven
Auch den letzten Weserabschnitt von Bremen nach Bremerhaven kann man mit dem Schiff zurücklegen. Allerdings nur Mittwochs, Donnerstags und Samstags. Wir nehmen an diesem Freitag also die S-Bahn und kaufen uns dafür für 30 Euro ein VBN-Tagesticket (skurriles Detail am Rande: dieses Ticket kann nur am Tag der Fahrt online gekauft werden – am Abend zuvor klickt der User ins Leere … Was sich die Bremer Verkehrsplaner dabei wohl gedacht haben? ).

Unser Ziel in Bremerhaven ist das Deutsche Auswandererhaus, das sehr anschaulich nacherleben lässt, wie im 19. und 20. Jahrhundert für Millionen von Migranten die Reise in ihre neue Heimat ausgesehen hat. Viele von ihnen kamen in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Weserschiff nach Bremen.
Der Abend bescherte uns in Bremen den kulinarischen Höhepunkt der Fahrt: Das Cavona. Das Restaurant in der Kunsthalle setzt auf norddeutsche Produkte, alte Gemüsesorten, Bio-Produkte, regionales Fleisch und Fisch aus herausragenden Zuchtbetrieben sowie auf handgeangelte Fische und Meeresfrüchte aus der Nordsee – was die Küche auch gut umzusetzen versteht. Wir waren sehr angetan.

Tag 6: Bremen – Wedel
Man kann es sich leicht machen, wenn man von Bremen nach Wedel fahren möchte: Mit der Regionalbahn nach Hamburg Hbf und dann mit der S1 zur Endstation in Wedel. Die etwas originellere Variante mit einer kleinen Wassereinlage führt über Stade und Grünendeich zur Fähre über die Elbe. Natürlich entschieden wir uns für Letzteres.
Die Lühe-Schulau-Fähre fährt Samstags alle zwei Stunden. Um bei der Geburtstagsfeier rechtzeitig anzukommen mussten wir die Abfahrt um 15 Uhr erreichen. Kein Problem, falls die Züge halbwegs pünktlich sein sollten. Doch darauf wollten wir uns natürlich nicht verlassen und hatten deshalb diverse Alternativ-Szenarien durchgespielt.
Zum Glück waren wir etwas früher als geplant am Bremer Hauptbahnhof, so dass wir den verspäteten vorherigen Zug nehmen konnten. In Hamburg Harburg hatten wir also theoretisch reichlich Umsteigezeit. Die stand uns letztlich überreichlich zur Verfügung, denn auf der S-Bahn-Strecke herrschte Chaos. Mit üppiger Verspätung wurde schließlich Stade erreicht, wo wir wenig später den Radwanderbus (Bus 2650) bestiegen, der uns zur Fähre brachte. Für Radwanderer scheint der Bus nicht sehr attraktiv zu sein. Kein einziger Radfahrer fuhr mit.

25 Minuten später hatten wir das Fährhaus von Schulau erreicht. Noch 200 Meter zu Fuß bis zum Hotel, eine kleine Ruhepause, weitere 20 Minuten zum Yachthafen und die Geburtstagsfeier konnte beginnen!
Eine sehr schöne Tour! Mal etwas ganz anderes und Entschleunigung pur. Wünschte, ich hätte mehr Zeit, für solch eine Tour. Wäre wirklich schade, wenn der Schiffsverkehr aufgrund zu weniger Fahrgäste, eingestellt wird. Dann wäre wieder ein Stück wichtiger Kultur für immer verloren.