Das Seniorenticket ist für uns mehr als eine Flat Rate für Fahrten, die wir ohnehin gemacht hätten. Es ist auch eine Einladung, unbekannte Ziele anzusteuern und „weiße“ Flecken auf der hessischen Landkarte kennenzulernen.  Wie zum Beispiel das „Hesseneck“ – das Dreiländereck von Hessen, Bayern und Baden-Württemberg im hintersten Odenwald.

An einem sonnigen Herbsttag machten sich Freund Steve und ich auf den Weg. In knapp zwei Stunden brachte uns  RB82  von Frankfurt pünktlich nach Oberzent-Schöllenbach. Die Odenwaldbahn hat erfreulicherweise die Streckenstillegungs-Orgien der 70er Jahre überstanden und erfreut sich wachsender Beliebtheit.

Das Himbächel-Viadukt von 1881

Im 19. Jahrhundert war die Strecke mit ihren attraktiven Brückenbauten sehr populär und wurde vom „Bauherrn“,  Großherzog Ludwig 1872  stolz der adeligen Verwandtschaft vorgeführt. Heute sind viele Bahnhöfe leider verrottet oder abgerissen.

Bahnhof Wiebelsbach von 1910
Der „Mausohr-Bahnhof“ in Mümling-Grumbach
Haltepunkt Schöllenbach

Ziel unserer Fahrt war Hesselbach – etwas drei Kilometer von Schöllenbach entfernt und Ausgangspunkt etlicher Wanderrouten.  Mit dem Bus erreichbar, die Bushaltestelle laut RMV-App 270 Meter und 5 Min. vom Haltepunkt  Schöllenbach entfernt.  Allerdings: die RMV-App legt dabei die Luftlinie zugrunde – der tatsächliche Weg ist mindestens drei mal so lang. Also erreichten wir die Bushaltestelle deutlich später – was jedoch letztlich folgenlos war. Denn eine gründliche Analyse des Fahrplans  ergab, dass wir den Bus nach Hesselbach spätestens  eine Stunde zuvor hätten reservieren müssen. Wir hatten die Zeile  „Reservierungshinweis“ in der App dummerweise übersehen.

Auf diese Weise klüger geworden machten wir uns zu Fuß auf den Weg, dem Nibelungensteig folgend steil bergauf durch lichten Mischwald.

Schöllenbach – Rathaus und Quellkirche

In Hesselbach ist der Landgasthof Zum Grünen Baum der ideale Stützpunkt für Wanderer. Die Küche liefert gute bodenständige Gerichte mit regionalen Produkten zu vernünftigen Preisen, man wird herzlich enmpfangen, das Bier schmeckt gut und die Betten sich weich.

Nach einem opulenten  Frühstück machten wir uns bei strahlendem Sonnenschein auf den Weg. Rund um Hesselbach sind verschiedene Routen gut ausgeschildert – wir hatten uns No. 6 vorgenommen. 12 Km rund um das Dreiländereck.

Der Weg verläuft zunächst ohne größere Steigungen durch Wald und Felder mit immer wieder schönen Ausblicken in die Landschaft. Kurz hinter der Landesgrenze stößt der Wanderer auf die spärlichen Reste eines Römerkastells – Teil des Odenwald-Limes. Die  Steinmauern des Kastells waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch recht gut erhalten, so lesen wir auf der Informationstafel  – heute ist praktisch nichts mehr davon an Ort und Stelle.  Einige Kilometer weiter werden wir sehen, wo die Steine gelandet sind …

Kleinkastell „Zwing“

Der Weg führt steil bergab durch alten Laubwald und mündet in einen parkähnlichen Talgrund. Wir nähern uns dem  Schloß Waldleiningen, das kurz darauf in voller Pracht zu sehen ist.  Das romantische Bauwerk wurde ab 1828 vom Fürsten Leidinger nach dem Vorbild englischer Schlösser errichtet, wobei das Baumaterial zum Teil aus dem erwähnten römischen Kastell geholt wurde. Heute beherbergt das Gebäude eine psychosomatische Klinik  (https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Waldleiningen).

Vom Schloßpark führt der Weg auf einer Forststraße bergan und zieht sich dann einige Kilometer lang ohne größere Höhenunterschiede durch den Wald.  Irgendwann wird die Grenze nach Bayern überschritten. Ein Aufstieg von einigen hundert Metern führt zu den archäologischen Überresten des römischen Limes – zu sehen sind die Grundmauern von zwei Wachtürmen.

Wir sind nun wieder in Hessen angekommen und eine halbe Stunde später ist unser Ausgangsort Hesselbach wieder erreicht.

Die RMV-App verspricht, dass in Kürze eine Abreise aus Hesselbach mit Öffis möglich sei – diesmal ohne „Reservierungshinweis“ – und tatsächlich biegt pünktlich um 14:05 Uhr ein großer Bus um die Ecke, dem zwei Schulkinder entsteigen.  Bei der folgenden Fahrt durch einsame Waldgebiete  sind wir die einzigen Fahrgäste.

Für die Rückfahrt nach Frankfurt hatten wir uns eine alternative Route ausgesucht: Mit Bus 52 von Hesselbach über den Krähberg  nach Beerfelden. Von dort mit Bus 50 nach Erbach und dann zurück nach Frankfurt mit RB82.  Eine gute Entscheidung, denn die Bus-Strecke ist landschaftlich sehr reizvoll. Die kurvenreiche  Straße hinauf zum Krähberg (und damit über die Wasserscheide zwischen Neckar und Main) ist bei Motorrad- wie Radfahrern sehr beliebt. Immer wieder muss der Bus hinter Radfahrern in langsamer Fahrt auf eine Überholmöglichkeit warten, denn die Kurven sind nur selten gut einsehbar.

In Erbach ist noch Zeit für einen kleinen Imbiss in einer Pizzeria am Schlossplatz und einen Bummel durch den historischen Ortskern.

Etwas fassungslos lesen wir in Wikipedia: „Im Bereich der Orangerie und des Schlossgartens konnte eine Bürgerinitiative in den 1970er Jahren deren Abriss und den Bau eines Hotelhochhauses anstelle der Orangerie verhindern.“

Man glaubt es nicht: Hier sollte an Stelle der Orangerie in den 70er Jahren ein mehrstöckiges Hotel gebaut werden!

Am Erbacher Bahnhof überlebte das Empfangsgebäude von 1871  bis 2010, bis es dann einem Park and Ride-Platz weichen musste ( https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnhof_Erbach_(Odenw) ). Dafür legte sich die Stadt aber mächtig ins Zeug, die ehemalige Güterhalle umzubauen und als Kulturdenkmal zu erhalten.   Bistro, Warteraum und Toiletten waren jedoch an diesem Tag geschlossen …

Die Rückfahrt nach Frankfurt begann pünktlich. Da der Zug jedoch auf der einspurigen Strecke immer wieder an Ausweichstellen auf einen verspäteten Zug in Gegenrichtung warten musste  baute sich dann doch eine Verspätung von einer knappen Viertelstunde auf.  Could be worse …

 

 

 

Zum Hesseneck

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